Der Künstler

Manfred Bockelmann ist im deutschen Sprachraum ein bekannter Mann. Sein Oeuvre hat Umfang. Geschätzt ist er vor allem für seine teils großformatigen, farbigen oder monochromen Landschafts- und Horizontabstraktionen. Beim flüchtigen Hinsehen erscheinen seine Malerei  und Fotografie unaufgeregt, harmonisch, phantasievoll, jedenfalls der Schönheit und  Leichtigkeit verpflichtet. Wer genauer hinsieht erkennt, dass Bockelmanns Kunst so harmlos und unpolitisch  nicht ist. Seine Reaktionen auf Stimmungen, Ereignisse und Verhältnisse in der Welt spiegeln sich durchaus im Werk. Es sind keine großen, marktschreierischen Gesten, eher leise Wandlungen, die in formalen Konsequenzen ihren Ausdruck finden: So verliert er, im Nachhall der verheerenden Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington, die Lust an der Farbe. Für einige Zeit arbeitet Bockelmann ausschließlich monochrom. Schwarz.

Und nun das späte Opus magnus. Aber was veranlasst diesen Mann dazu hinabzutauchen in die Tiefen des Grauens der jüngeren heimischen Geschichte? Es ist die eigene Biografie! Und es ist die Scham!

Als Manfred am 01. Juli 1943 in Klagenfurt in die deutschstämmige, begüterte, großbürgerliche Familie Bockelmann hineingeboren wird, strebt das Morden hinter den europäischen Fronten seinem Höhepunkt entgegen. Von Krieg, Not und Verbrechen ist die Familie weitestgehend unberührt. Der Vater, Gutsherr, NSDAP-Mitglied seit 1941 und Bürgermeister der kleinen Kärntner Ortschaft „Ottmanach“, ist kein verbissener Nazi, hat sich aber mit der braunen Macht arrangiert. Kurz vor Kriegsende evakuiert er, aus Furcht vor  heranrückenden Partisanenverbänden, seine Familie nach Deutschland. Das wird als Fahnenflucht gewertet und Rudolf Bockelmann wird in Klagenfurt in Gestapo-Haft genommen. Das Ende des Krieges verhindert ein Urteil.

Wie andere Jugendliche befragt auch Manfred die Eltern zu deren Rolle und Verhalten im sogenannten 3. Reich. Und wie so viele andere, erhält er unbefriedigende Antworten. Tenor: „Wir wurden getäuscht“. „Aber“ sagt der Maler, „so etwas können eventuell Deutsche Anfang der 1930er Jahre sagen, 1938, als Hitler in Österreich einmarschierte, wusste man doch, mit wem man es zu tun hatte“. Er ist enttäuscht. Von den eigenen Eltern und deren Generation. Aber auch von der eigenen Generation, die sich in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht emanzipiert hat und sich, unter Hinweis auf die These von „Österreich als erstem Opfer Hitlers“, der Schreckensaufarbeitung so standhaft widersetzte. „Ich wollte mich auch als Künstler äußern“, sagt er und gibt zu  „doch  dem Thema  Holocaust fühlte ich mich nicht gewachsen“.

Seit dem Jahr 2010 ist das anders: Manfred Bockelmann stellte sich der Frage nach dem Verbleib jener Menschenkinder seines Jahrgangs, denen es, anders als ihm, schlecht ergangen war, „die“, wie er sagt, „in der falschen Wiege gelegen sind“. Mittels schwarzer, parallel geführter Linien schafft er nun, mit brüchiger Kohle, mannshohe Portraits jener Unglücklichen, jener Unschuldigsten der Unschuldigen: Kinder und Jugendliche, ermordet im Alter zwischen zwei und 18 Jahren.

Mittlerweile sind über 120 Portraits entstanden, doch Bockelmann reicht das nicht.

Er möchte weiterzeichnen solange er noch kann.

 

Manfred Bockelmann im Atelier, 2013
Manfred Bockelmann im Atelier, 2013